Eine Abwandlung des HAWIE-Wortschatztests

als Kurztest zur Messung der Intelligenz Erwachsener

S. LEHRL, H. DAUN und R. SCHMIDT

Universitäts-Nervenklinik mit Poliklinik Erlangen

(Direktor: Prof. Dr. H. H. Wieck)

Eingegangen am 7. Juli 1971

A Short Scale for the Measurement of the lntelligence of Adults

A Modification of the Vocabulary Seale of HAWIE, the German Modification of WAIS

Summary. By introducing the multiple choice responses, the vocabulary test of Hawie is simplified in performance, evaluation and interpretation, the entire procedure now requiring only a few minutes. The evidence is nearly the same,while the objectivity and the invariance of age and psychoses are improved. The performance of multiple choice response transforms the vocabulary scale of free response into a vocabulary scale of multiple choice response (Mehrfachwahl-Wortschatz-Test=MWT). This test may be useful especially as an additionaI test, whenever information about the level of intelligence is needed in psychiatrie, psychological and sociological inquiries.

Key-Words: Short Seale of Intelligence.

Zusammenfassung. Durch die Anwendung des multiple-choice-Verfahrens beim Wortschatztest des HAWIE ist eine wesentliche Vereinfachung in der Durchführung, Auswertung und Interpretation des Tests möglich. Die Durchführungs- und Auswertungszeit kann auf wenige Minuten gesenkt werden. Dabei bleibt die Aussagefähigkeit des Wortschatztests fast vollständig erhalten. Seine Objektivität sowie seine Alters- und Krankheitsunabhängigkeit werden sogar noch verbessert. Das multiple-choice-Verfahren macht aus dem Wortschatztest einen Mehrfachwahl-Wortschatz-Test (MWT), der insbesondere als Zusatztest, wenn es darauf ankommt, das Intelligenzniveau von Probanden bei psychiatrischen, psychologischen und soziologischen Untersuchungen zu berücksichtigen, nützlich sein dürfte.

Schlüsselwörter: Intelligenz-Kurztest.

Bei psychiatrischen, psychologischen und soziologischen Fragestellungen spielt die Intelligenz von untersuchten Personen oft eine große Rolle. Vielfach will man deren Intelligenz allein erfassen. Häufig ist aber auch die Kenntnis des Intelligenzniveaus der Probanden bei der Durchführung von Nichtintelligenztests zur optimalen Auswertung erforderlich. Vor allem zu Aufgaben der letztgenannten Art, die mit der Entwicklung immer neuer Testmethoden wahrscheinlich an Zahl und Bedeutung noch erheblich zunehmen werden, bedarf es eines einfachen, schnellen und objektiven Verfahrens zur Bestimmung der Intelligenz, das überdies altersunabhängig und bei psychiatrischen Untersuchungen zusätzlich möglichst frei von Krankheitseinflüssen sein sollte.


I. Die wichtigsten gebräuchlichen Intelligenztests für Erwachsene

Eingebürgerte Maße des Intelligenzniveaus sind im deutschen Sprachgebiet u.a. der Gesamtintelligenz-Quotient (IQ) des Hamburg-Wechsler-Intelligenztests für Erwachsene (HAWIE), der Gesamtstandardwert (SW) des Intelligenzstrukturtests von Amthauer (IST), der Gesamtstandardwert oder Gesamt-Stanine-Wert (C) des Leistungsprüfsystems von Horn (LPS) sowie der Prozentrang (PR) des Raven-Tests. Die gängigen Verfahren zur Messung des Intelligenzniveaus benötigen meist einen beträchtlichen Zeitaufwand. Selbst Kurzformen wie etwa solche vom HAWIE nach Dahl oder der amerikanischen Formen Wechsier-Bellevue-Intelligence-Scale (WBI) und Wechsler-Adult-Intelligence-Scale (WAIS) nach Hilden, Taylor u. Dubois sowie nach Rabin, vom IST nach Lienert u. Leuchtmann sowie vom Wilde-Intelligenz-Test (WIT) nach Jäger sind mit
1/2 bis über 1 Std Dauer für viele praktische Erfordernisse zu langwierig. Außerdem sind die genannten Verfahren bis auf allenfalls den nicht zeitbeschränkten Raven-Test sehr krankheits- und altersabhängig.

Als ein Test, der die angesprochenen Nachteile großteils vermeidet, wird oft der Wortschatztest (WT) des HAWIE betrachtet.

Seine Korrelation mit dem Ergebnis des Gesamttests beträgt bei den amerikanischen Formen des HAWIE nach Wechsler 0,89. Diese hohe innere Validität weist den WT als gute Methode zur Erfassung des Intelligenzniveaus aus. Besondere Vorzüge des WT sind nach Wechsler, nach Priester und nach Weider wie nach den Untersuchungen von Markwell, Wheeler u. Kitzinger sowie Aita, Armitage, Reitan u. Rabinowitz die gute Altersunabhängigkeit des Tests und seine relativ geringe Störbarkeit durch Krankheiten. Instruktion, Durchführung und Auswertung nehmen bei ihm jedoch immer noch etwa 20-30 min in Anspruch. Zudem muß der Testleiter die Bedeutung der Testwörter selbst einzeln abfragen und jede Antwort mit 0, 1 oder 2 Punkten bewerten. Die richtige Punktzahl ist häufig unsicher, was zu Lasten der Auswertungsobjektivität geht. Daher, aber auch wegen einer nach Berkowitz u. Green sowie nach Symon und nach unseren eigenen Erfahrungen doch noch deutlichen Störanfälligkeit, vermag der WT nicht alle Ansprüche zu erfüllen, die an einen Intelligenz-Kurztest, der breite Anwendung finden soll, zu stellen sind.

 

II. Der Mehrfachwahl-Wortschatz-Test

In erster Linie in dem Bestreben, bei Nichtintelligenztests die unterschiedliche Intelligenz der Probanden ohne großen zusätzlichen Aufwand ermitteln und in Rechnung stellen zu können, haben wir versucht, den WT so zu vereinfachen, daß seine Durchführung nur noch wenige Minuten dauert. Es ist uns gelungen, einen echten Intelligenz-Kurztest zu entwickeln, der die Vorteile des WT besitzt, seine oft erwiesenen Nachteile aber weitgehend vermeidet. Trotz der erheblichen Zeiteinsparung ist bei unserer Modifikation des WT die Messgenauigkeit des ursprünglichen Tests fast vollständig erhalten geblieben. Die Objektivität sowie die Unabhängigkeit von Einflüssen des Alters und von Krankheiten konnten sogar verbessert werden.

Die Vereinfachung des WT beruht auf der Anwendung des multiple-choice- Verfahrens. Wir nennen deshalb die neue Form des WT Mehrfachwahl-Wortschatz-Test (MWT). Bei dem MWT sind die Wörter des WT zwischen oder neben jeweils vier ähnlich klingende, aber sinnlose Buchstabenkomplexe gestellt. Die Anzahl und die Reihenfolge der WT-Wörter haben dabei keine Veränderungen erfahren. Der MWT enthält so 42 Zeilen mit je fünf Buchstabengruppen.

Die erste und leichteste lautet: Apfer - Lapfe - Apper - Apfel - Pafel,

eine mittelschwere: Anonom - Anorem - Anonym - Anorym - Anonem,

und die letzte: Geoid - Geornid - Geoeid - Gelid - Geolid.

Der Proband hat die Aufgabe, das "richtige" Wort in jeder Reihe zu finden und anzustreichen. Die notwendige Instruktion bildet den Kopf des Testbogens. Sie hat folgenden Wortlaut: "Sie sehen hier mehrere Reihen mit Wörtern. In jeder Reihe steht höchstens ein Wort, das Ihnen vielleicht bekannt ist. Wenn Sie es gefunden haben, streichen Sie es bitte durch." Wir bitten die Probanden, diese Anweisung durchzulesen und, falls ihnen etwas unklar sei, zu fragen. Auf Wunsch sagen wir den Untersuchten, daß die Durchführungszeit bei dem Test keine Rolle spiele. Bei der Auswertung wird jedes richtig angestrichene Wort als ein Punkt gezählt. Aus der Gesamtpunktzahl lassen sich mittels der Tab. 1 die IQ-Werte und die Prozentränge bestimmen. Abnahme und Auswertung des MWT nehmen durchschnittlich 6-7 min in Anspruch.

Zur vorläufigen Eichung des MWT und zur Untersuchung seiner Eigenschaften haben wir den Test zusammen mit dem WT bei psychisch gesunden Erwachsenen, bei Kranken mit einem Durchgangs-Syndrom - Wieck - und bei Kranken mit einer cyclothymen Depression erprobt. Dabei wurde so vorgegangen, daß zuerst der MWT abgenommen wurde und anschließend der WT. Die Auswertung erfolgte in der umgekehrten Reihenfolge. Erst nachdem das WT-Ergebnis vorlag, wurde der MWT ausgewertet. Weil dessen Auswertung kaum subjektiven Einflüssen unterliegt, konnte so eine gegenseitige Beeinflussung der Resultate ausgeschlossen werden.

Als Nomalpersonen boten sich uns Patienten der Universitäts-Nervenklinik mit Poliklinik Erlangen an, die keine psychischen Abweichungen hatten. Es waren dies Kranke mit reinen spinalen oder peripheren neurologischen Störungen wie etwa Rückenmarkswurzelsyndromen infolge eines Bandscheibenschadens und peripheren Nervenverletzungen. Zum anderen nahmen wir außerhalb der Klinik leicht erreichbare Personen.

Dabei handelte es sich vor allem um Studenten. Die Altersverteilung bei den "Normalpersonen" und deren Schulbildung zeigen die Tab. 2 und 3. Sowohl das Alter wie die Schulbildung weisen deutlich asymmetrische Verteilungen auf. Hiernach ist zu erwarten, daß Personen mit überdurchschnittlichen Intelligenzleistungen überrepräsentiert sind. Das kann auf die korrelativen Zusammenhänge zwischen MWT und WT zwei entgegengesetzte Wirkungen haben:

1. Die unterrepräsentierte Teilgruppe mit unterdurchschnittlichen Intelligenzleistungen erhöht den Korrelationskoeffizienten (Heterogenisierung).

2. Die überrepräsentierte Teilgruppe mit überdurchschnittlichen Intelligenzleistungen erniedrigt den Korrelationskoeffizienten (Homogenisierung).

Wegen der asymmetrischen Verteilung und der geringen Zahl der Versuchspersonen ist es besonders wichtig, die Zuverlässigkeit der Ergebnisse mit zu erfassen. Wir haben daher die Versuchspersonenstichprobe in zwei Unterstichproben mit je 25 Versuchspersonen geteilt, und zwar die 25 zuerst untersuchten und deren Komplement, mit dem Ziel, die getrennt gewonnenen Ergebnisse auf Übereinstimmung zu prüfen. Da die Versuchspersonenstichprobe keine Normalverteilung aufweist und die Zusammenhänge von WT und MWT nicht von vornherein rectilinear sein müssen, wurde außerdem für die Korrelations- berechnungen der Spearmansche Korrelationskoeffizient "rho" gewählt.

Bei sämtlichen Stichproben - der Gesamtstichprobe und den beiden Unterstichproben - korrelierten wir die Variablen: Rohwerte des MWT, Rohwerte des WT und IQ-Punkte nach dem WT. Die IQ-Punkte aus dem WT mußten errechnet werden, da Angaben über IQ-Werte aus den HAWIE-Subtests in der Literatur fehlen. Bei der Berechnung haben wir die Intention Wechslers zugrunde gelegt, daß für alle Subtests 10 Wertpunkte einen Mittelwert darstellen und 3 Wertpunkte die Standardabweichung. Beim WT ist diese Absicht, wie die Untersuchungen Wechslers ergeben haben, und wie auch aus von Margaret u. Wright mitgeteilten Ergebnissen zu entnehmen ist, fast ideal verwirklicht worden. Wechsler fand bei 1300 Erwachsenen für den WT einen Mittelwert von 10,1 und eine Standardabweichung von 3,2, während 40 Kontrollpersonen von Margaret u. Wright im WT einen Mittelwert von 9,8 und eine Standardabweichung von 3,2 hatten. In der Tab. 4 sind die gewonnenen Interkorrelationen zwischen den Rohwerten des MWT sowie den Rohwerten und IQ-Punkten des WT niedergelegt. Dabei geben die neben den Korrelationen angeführten t-Werte die Sicherheit an, mit der die Korrelationen als von Null verschieden angenommen werden können. Ein t-Wert von mindestens 2,68 bei der Stichprobe mit n = 50 und ein t-Wert von mindestens 2,80 bei den Stichproben mit n = 25 bedeuten: auf dem 1%- Niveau signifikant von Null verschieden. Über die Toleranzbereiche der in Tab. 4 aufgeführten Korrelationen unterrichtet die Tab. 5.

Die Ergebnisse in den beiden voneinander unabhängigen Unterstichproben bestätigen sich gegenseitig. Somit können die Ergebnisse als reliabel angesehen werden. Offen bleibt allerdings zunächst noch der Anteil der Gruppenheterogenität an den bemerkenswert hohen Korrelationen. Diese spielt tatsächlich eine Rolle. Wie die in der Abb. 1 wiedergegebene graphische Regressionsdarstellung, die einen Überblick über die Beziehungen zwischen WT und MWT gestattet, lehrt, ist der Zusammenhang zwischen MWT und WT nicht in allen Bereichen gleich gut. Er ist im Leistungsbereich von IQ-Werten gleich 100 und höher deutlich straffer als im Leistungsbereich von IQ-Werten unter 100. Für den niedrigeren Leistungsbereich sind Korrelationserhöhungen durch Heterogenisierungseffekte anzunehmen. Immerhin lassen sich aber auch für diesen Bereich allein noch befriedigende Korrelationen errechnen, wie die Tab. 6 zeigt. Die Korrelationen für den höheren Leistungsbereich, die in der


Tab.7 aufgeführt sind, decken sich erwartungsgemäß fast genau mit denen der Gesamtstichprobe.
Nach der graphischen Regressionsdarstellung besteht zwischen WT und MWT ein annähernd linearer Zusammenhang, der es erlaubt, lineare algebraische Regressionsgleichungen aufzustellen. Mit 91%iger Sicherheit lassen sich nach der Formel

WT-Rohpunkte = - 4,79 + 1,88 MWT-Rohpunkte

bei unseren gesunden Versuchspersonen die WT-Rohpunkte aus den erreichten MWT-Rohpunktzahl voraussagen. Ebenso kann der WT-Intelligenzquotient aus jeder beliebigen MWT-Rohpunktzahl durch die Regressionsgleichung:
IQ-Punkte = 47,92 + 1,73 MWT-Rohpunkte
mit einer Sicherheit von 90% ermittelt werden. Der Schätzfehler der Voraussage von MWT-Rohpunkten auf den WT-IQ beträgt bei
sIQ = 15:

sMWT,IQ = +/ - 15(Quadratwurzel aus)1 - 0,90 = ungefähr +/ - 5,2

bei einem Toleranzbereich von ± 1
sIQ um den errechneten WT-Wert. Im Hinblick auf den starken Zusammenhang haben wir keine Bedenken gehabt, die Eichung des WT für den MWT vorläufig zu übernehmen, bis eine eigene Eichung erfolgt ist. Die IQ- und PR-Zuordnungswerte für die MWT-Rohpunkte in der Tab. 1 sind mit Hilfe der oben angegebenen Regressionsgleichungen errechnet worden. Die Vorhersagesicherheit der IQ-Werte durch MWT-Punkte ist r = 0,95, was 90% entspricht. Bei 99%iger Sicherheit liegt der Toleranzbereich zwischen 0,90 und 0,98.

Bei der Überprüfung der Alters- und Krankheitsabhängigkeit des MWT beschränkten wir uns auf eine Gruppe betagter Versuchspersonen' sowie zwei Gruppen von Kranken mit einer Psychose, und zwar, wie schon gesagt, einer cyclothymen Depression' oder einem Durchgangs-Syndrom nach Wieck. Jede Gruppe umfaßt 20 Probanden. Die alten Personen fanden wir in einem Altersheim für Wohlsituierte. Die Tab. 8 und 9 geben eine Übersicht über die Altersverteilung in den drei Gruppen.

Der Einfluß von Alter und psychischen Störungen auf das Ergebnis des MWT wurde untersucht, indem der WT-IQ einmal aus dem MWTErgebnis mittels der Tab. 1 und einmal direkt anhand des WT-Ergebnisses bestimmt wurde und anschließend ein Vergleich beider IQ-Werte erfolgte. Die statistische Signifikanzprüfung wurde mit dem Chi-QuadratTest durchgeführt. Dabei lieferte die Kontrollgruppe der Normalpersonen die erwartete Verteilung, mit der die in den drei Versuchsgruppen beobachteten Werte verglichen wurden.Während bei den Normalpersonen beide IQ.Werte zusammenfielen, zeigte die Gegenüberstellung bei den alten und kranken Versuchspersonen Differenzen zuungunsten des direkten WT-IQ. Bei den Probanden aus dem Altersheim lag der mit dem MWT bestimmte IQ durchschnittlich 9,5 IQ-Punkte über dem direkt ermittelten WT-1Q.

Die Differenz betrug bei den Kranken mit einer zyklothymen Depression durchschnittlich 12,5 IQ-Punkte und bei den Kranken mit einem Durchgangs-Syndrom durchschnittlich 13,5 IQ-Punkte. Unterstellt man, daß höheres Alter und psychische Krankheiten die intellektuelle Leistungsfähigkeit nur zu beeinträchtigen, nicht jedoch zu bessern vermögen, so ist aus diesem Verhalten zu schließen, daß der MWT noch deutlich alters- und krankheitsunabhängiger ist als der WT.

Im Einzelnen fanden wir, wie in der Tab.10 zusammengestellt ist, bei den alten Personen und bei den Kranken mit einer zyklothymen Depression in jeweils 18 Fällen den aus dem MWT-Ergebnis errechneten Erwartungswert höher als den direkten WT-1Q. Bei den Kranken mit einem Durchgangs-Syndrom war die Differenz zuungunsten des WT-Ergebnisses sogar in allen Fällen nachweisbar. Zum Vergleich enthält die Tab. 10 die Verteilung der IQ-Differenzen bei der Normalgruppe und, da bei den Gruppen der kranken Versuchspersonen die Altersklasse 45-64 Jahre überwiegt und die Differenzen zwischen den beiden IQ-Werten ein Alterseffekt sein könnten, gesondert die Verteilung der IQ-Differenzen bei dieser Altersklasse der Normalpersonen. Sämtliche Differenzen zwischen den Versuchsgruppen und der Kontrollgruppe sind auf dem 1-Promille Signifikanzniveau statistisch gesichert.

 

VI. Diskussion

Nach unseren Erfahrungen bei der Entwicklung und Erprobung des MWT entspricht dieser Test den wesentlichen Forderungen, die ein Intelligenz-Kurztest erfüllen sollte. Der MWT prüft wie die ursprüngliche Form des WT das sprachliche Begriffswissen, das sich im WT als ein gutes Maß für das allgemeine Intelligenzniveau erwiesen hat. Testdurchführung, -auswertung und -interpretation beanspruchen nur kurze Zeit. Die Testanweisung ist leicht verständlich und ebenso wie die Durchführung, Auswertung und Interpretation in hohem Grad objektiv. Der Koeffizient der inneren Validität mit dem WT beträgt 0,95. Da die Reliabilität u. a. nach Lienert mindestens so groß wie die Validität ist, kann ein Reliabilitäts-Koeffizient rtt > 0,90 erwartet werden. Schließlich ist der MWT auch noch alters- und krankheitsunabhängiger als der WT.

Das multiple-choice-Verfahren ist eine vorteilhafte Vereinfachung des WT. Durch dieses Verfahren wird die Durchführung des WT beträchtlich erleichtert und abgekürzt, ohne daß dessen Aussagefähigkeit zu stark leidet. Während das sprachliche Begriffswissen beim WT bestimmt wird, indem sich der Versuchsleiter die Bedeutung einer gegebenen Reihe von Wörtern nennen läßt, brauchen die Probanden beim MWT nur noch die ihnen bekannten Wörter zu finden, was erheblich weniger Mühe bereitet als das Angeben von deren Bedeutung. Der MWT bietet sich seiner Anlage nach vor allem als Zusatztest bei Untersuchungen an, bei denen die Intelligenz eine Rolle als Versuchs-oder Störvariable spielt. Das ist in der Psychiatrie, Psychologie und Soziologie häufig der Fall. Selbst die Nichtintelligenztests sind meistens deutlich intelligenzabhängig, so daß es angezeigt ist, bei ihrer Auswertung die Intelligenz der Probanden zu erfassen und zu berücksichtigen.

Einschränkungen erfährt die Anwendung des MWT bei Legasthenikern, wie das für alle Wortschatztests gilt, bei Kranken mit einer Psychose, die sich nicht auf die Testinstruktion einstellen können, sowie bei Personen mit Intelligenzprozenträngen unter 6 (entspricht dem Abweichungs-IQ 75) und über 91 (entspricht dem Abweichungs-IQ 120), weil unter dem Prozentrang 6 deutliche Leseschwierigkeiten bestehen und der Test über dem Prozentrang 91 nicht mehr differenziert. Bei Legasthenikern kann es eine Hilfe sein, wenn man die Wahlwörter vorliest. Über eine derartige Testdurchführung liegen jedoch noch keine Untersuchungs- ergebnisse vor.

 

Literatur:

  1. Aita, J. A., Armitage, S. G., Reitan, R. M., Rabinowitz, A.: The use of certain psychologieal tests in the evaluation of brain injury. J. gen. Psychol. 37, 25 (1947).
  2. Amthauer, R.: Intelligenzstrukturtest (I-S-T). Handanweisung für die Durchführung u. Auswertung. Göttingen: Hogrefe 1953
  3. Berkowitz, B., Green, R. F Changes in intellect with age. I.longitudinal study of the Wechsler Bellevue Scores. J. genet. Psychol. 103, 3 (1963).
  4. Butler, A.: Test-retest and split-half reliabilities of the Wechsler Bellevue Scales and Subtests with mental defectives. Amer. J. ment. Defic. 59, 80 (1954).
  5. Conkey, P C.: Psychologieal changes associated with head injuries. Arch. Psychol. 232, 1 (1938).
  6. Dahl, G. - Übereinstimmungsvalidität des HAWIE und Entwicklung einer reduzierten Testform. Meisenheim am Glan: Hain 1968.
  7. Groffmann, K. J.: Die Entwicklung der Intelligenzmessung. In: Handbuch der Psychologie, Bd. 6. Göttingen: Hogrefe 1964.
  8. Hilden, A., Taylor, J., Dubois, P.: Empirical evaluation of short Wechsler Bellevue Scales. J. clin. Psychol. 8, 323 (1952).
  9. Horn, W. - Das Leistungsprüfsystem (L-P-S.). Göttingen: Hogrefe 1962.
  10. Jäger, A. 0.: Der Wilde-Test. Ein neues Intelligenzdiagnostikum. Z. exp. angew. Psychol. 10, 260 (1963).
  11. Lienert, G. A.: Testaufbau und Testanalyse, 2. Aufl. Weinheim-Berlin: Beltz 1967.
  12. - Leuchtmann, T.: Die Möglichkeiten einer Kurzform des I-S-T von Amthauer. Psychol. Prax. 2, 177 (1958).
  13. Margaret, A., Wright, C. -. Limitations in the use of intelligence test performance to detect mental disturbance. J. appl. Psychol. 27, 385 (1943).
  14. Markwell, E. D., Wheeler, W. M., Kitzinger, H. -. Changes in Wechsler-Bellevue test performance following prefrontal lobotomy. J. cons. Psychol. 17, 229 (1953).
  15. Pihkanen, W., Weckroth, J.: Correlation between intellectual performance and the severity of brain injury. Acta neurol. scand. 38, 233 (1962).
  16. Priester, H. J.: Intelligenztests für Erwachsene. In: Handbuch der Psychologie, Bd. 6. Göttingen: Hogrefe 1964.
  17. Rabin, A. I.: A short form of Wechsler BeIlevue test. J. appl. Psychol. 27, 320 (1943).
  18. Raven, J. C.: Guide to using progressive matrices. London: Lewis 1951.
  19. Symon, J. A.: Analisi del test de Wechsler en alcoholicos cronicos. Aspectos cuantitativoa parciales en el diagnostico precoz de la deterioracion mental. Rev. chil. Neuropsiquiat. 1, 75 (1962).
  20. WechsIer, D.: The measurement and appraisaI of adult intelligence, 4. Edit. Baltimore: Williams and Wilkins 1958.
  21. Weider, A.: Methoden zur Intelligenzprüfung nach Wechsler. In: Die Tests in der klinischen Psychologie. Zürich: Rascher 1954.
  22. Wieck, H. H.: Zur Klinik der sogenannten symptomatischen Psychosen. Dtsch. med. Wschr. 81, 1345 (1956).

1 Herrn Medizinaldirektor Dr. Hann, Bezirkskrankenhaus Erlangen, sowie Herrn Priv.-Doz. Dr. Lang, Waldkrankenhaus St. Marien, Erlangen, möchten wir an dieser Stelle für die freundliche Unterstützung unserer Untersuchungen danken

DipI.-Psych. S. LehrI Dr. H. Daun, cand. phil. R. Schmidt

Universitäts-Nervenklinik mit Poliklinik D-8520 Erlangen, Schwabachanlage 10 Deutschland
Arch. Psychiat. Nervenkr. 214, 353-364 (1971)
by Springer-Verlag 1971